9. Februar 2018 0 Kommentare Kolumnen
Die deutsche Retroszene gerät zunehmend ins Straucheln. Das Szenenforum RetroTown und seine Community haben schon lange den ehrenvollen Status und die szenenweite Anerkennung verloren. Frischlinge, die ihre ersten Wege in der Retroszene machen, setzen auf Alternativen in der englischsprachigen Szene: Auf DevBest oder Ragezone etwa steigt die Anzahl deutschsprachiger Nutzer immer weiter an, RetroTown wird vermieden – von den wenigen Beiträgen, die noch geschrieben werden, sind die wenigsten produktiv oder innovativ. Hatespeech, „Ich weiß es besser“-Beiträge oder sogenannte „Bitchfights“ beherrschen das Forumklima. Darunter leidet die Szene.
Wir beharren inzwischen auf einem Status Quo, der ganz und gar nicht fördernd ist. RetroTown fehlt der essentielle Zulauf neuer Mitglieder, die das Forum aktiv nutzen, um sich auszutauschen und Meinungen zu bilden. Dafür sind Foren aber hauptsächlich da – RetroTown wird für solches seit mindestens einigen Monaten nicht mehr genutzt. Wann hat sich zuletzt ein neues Mitglied in der Community vorgestellt und wurde anschließend ein integriertes Mitglieder jener? Das ist eine halbe Ewigkeit her. RetroTown kann nichts dafür, dass das Forum unter dem Zurückgehen der Mitgliederzahlen der Szene leidet. Doch es – insbesondere die Community – begünstigt dieses Problem, indem es Integration nahezu unmöglich macht und Neuankömmlinge mit weniger „KnowHow“ förmlich ausschließt. Es ist selbsterklärend, dass sich jemand, der Probleme oder Fragen zum Thema Habbo Retros hat, nicht mehr zu äußern oder fragen traut, wenn er damit einen provokativen Shitstorm zu ernten riskiert. Die letzteren Threads auf RetroTown beweisen: Kritik ist in den wenigsten Fällen produktiv, vielmehr werden die Hilfesuchenden oder Projektentwickler wegen ihrer angeblichen Inkompetenz gehatet, ausgelacht und schlussendlich in einer respektlosen Art und Weise hinterfragt.
Dabei sind es gerade die Hilfesuchenden, welche die Erfahrung und das Können der anderen benötigen, um voranzukommen und eines Tages diese Szene bereichern zu können. Noch nie ist ein Profi vom Himmel gefallen und viele scheinen zu vergessen, dass sie eines Tages selbst ähnlich unerfahren waren. Erst neulich haben wir erlebt, wie jemand, der einem Hilfesuchenden helfen wollte, dafür kritisiert und ins Lächerliche gezogen wurde, weil er nicht hundertprozentig stimmige Informationen gab. Aber da fragt man sich – was haben diejenigen, die sich erlauben, so frech und abwertend einen Helfenden unter Beschuss zu nehmen, auch nur ansatzweise geleistet, um dem Hilfesuchenden besser zu helfen? Wahrscheinlich überhaupt nichts, außer, dass sie seinen Thread mit Hatespeech bombardiert haben, vom Thema abgekommen sind und ein noch schlechteres Bild der ohnehin schon strauchelnden Community abgegeben haben. Da wundert es einen nicht mehr, wenn man fortan in der englischen Szene nach Hilfe fragt, um produktive Antworten zu erhalten. Denn dort läuft es wirklich besser – zwar nicht ausnahmslos, Trolls gibt es überall, doch der Eindruck, dass die deutsche Retroszene nur noch aus Trolls besteht, erhärtet sich. Und dann sind wir es selbst, die unserer eigenen Community nicht helfen, erwachsen zu werden. Es zeichnet sich eine Spaltung ab. Es gibt jene, die sind seit Anfang an dabei und haben das nötige KnowHow, und andere, die sind neu, und kommen niemals aus diesem „Neu-Sein“ Status heraus, weil man ihnen nicht dazu verhilft und sie eher auslacht, als ihnen zu helfen und mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Dabei ist das die neue Generation, die unsere Hilfe nötig hat. Wenn wir wollen, dass die Szene auch nach unserem Verlassen am Leben bleibt, müssen wir dazu beitragen, dass Neuankömmlige ähnliche Chancen auf Erfolg und Wissenserweiterung haben, wie wir sie damals hatten. Doch danach sieht es ganz und gar nicht aus
Wir wissen noch, als damals so gut wie jedes Retro Hotel einen Vorstellungsthread auf RetroTown hatte, der regelmäßig aktualisiert und mit neuen Inhalten gefüllt wurde. Fast alle Retro Hotels halten sich aber inzwischen von RetroTown fern. Weder vom Holo Hotel, Live Hotel, HabboST, HabboCX, noch vom Lemon Hotel oder anderen Newcomern findet sich eine Spur auf RetroTown. Das einzig noch halbwegs aktive Retro, das sich um Aktivität bemüht, ist das HuBBa Hotel. Auch dies ist das natürliche Resultat der Umstände in dieser Szene, die anderen den Erfolg nicht zu gönnen vermag. Das haben die Retrobesitzer zurecht erkannt – warum noch Zeit im Forum verschwenden, wenn das einzige, was mich dort erwartet, nur Shitstorm und unproduktiven Kritik sein kann? Erst vor wenigen Tagen hat auch RetroTimes seinen eigenen RetroTown Thread schließen lassen, ähnlich wie zahlreiche andere Projekte, beispielsweise RetroPresse, in Vergangenheit. Auch hier sind die Beweggründe zu erahnen.
Ähnlich verhält es sich mit RetroTown selbst und seiner damals frisch eingeführten Newsfunktion. Der ein oder andere mag sich daran erinnern, wie ein Autor in den Artikelkommentaren eines RetroTown Newsbeitrages für seine fehlerhafte Rechtschreibung und Grammatik kritisiert wurde. Wobei „kritisiert“ hier, wie üblich, in der deutschen Szene gleichzusetzen ist mit aufs Übelste beleidigt und respektlos gedemütigt. Nutzer gingen so weit, öffentlich die Kompetenz des Autors in Frage zu stellen – die Folge: nach diesem Artikel kam bis heute kein neuer vom selbigen Autor. Doch war es nicht die RetroTown Community selbst, die neue Artikel zum Lesen wollte? Überhaupt hat das RetroTown Team scheinbar größtenteils mit dem Forum abgerechnet. Neuheiten sind zur Seltenheit geworden. Die letzte große Änderung war die Einführung der Filebase, die nun auch schon etliche Monate zurückliegt. Events wie etwa „Retro des Monats“ befinden sich seit einer halben Ewigkeit in der Sommerpause, von den Moderatoren und Administratoren sieht man nur noch selten Beiträge. All das zeugt von fehlender Motivation, die sich auch in der Aktivität der Nutzer widerspiegelt. Die 290 Beiträge am Tag in der Statistik des Forums sind inzwischen mehr Utopie als Wirklichkeit.
Ironischer Weise sind es aber wir selber, die von RetroTown und den Redakteuren verlangen, dass mehr News geschrieben werden. Aber wozu? Damit wir den Redakteur im Nachhinein für einen kleinen Rechtschreibfehler auslachen können? Es ist auch die deutsche Szene selbst, die fallende Userzahlen bemängelt. Doch was tuen wir dagegen? Wir stoßen Neuankömmlinge ab, DDoSen uns gegenseitig und drohen anderen Hotels mit „wirklich unangenehmen Methoden“, statt zusammenzuhalten und produktiv miteinander zu arbeiten, damit die normalen User mal davon profitieren könnten. Auf der einen Seite wird etwas verlangt, doch auf der anderen Seite wird eben jenes in einer Art und Weise kritisiert, die unwürdig ist, und nichtig gemacht. Die Retroszene geht allmählich den Bach runter – und doch, man kann dem entgegen wirken, indem man einfach ein Stück Dankbarkeit zeigt und die Arbeit anderer würdigt. Das würde schon genügen, um das Klima grundlegend zu ändern. Man sieht den Konkurrenten nicht mehr als Konkurrenten, der mir die „User abzieht“, sondern als Mitstreiter, der auch nur das Beste für sein Hotel will. Das Klauen von Eventideen – wenn nicht sogar die Events selbst -, Designs und Räumen ohne die Einwilligung der jeweils anderen Parteien, wie es hier vom ein oder anderen Hotelgiganten der deutschen Szene praktiziert wird, widerspricht diesem Gedanken grundlegend und verweigert eine Bereitschaft der Zusammenarbeit gänzlich. Da ist es kein Wunder, dass die Streitigkeiten zwischen den Hotels anhalten und man sich immer weniger Respekt zuschreibt, der jedoch essentiell für ein gemeinsames Dasein in der Szene ist.
Wie wäre es mit Dankbarkeit dafür, dass es die Moderatoren auf RetroTown gibt, die unnötige Beiträge täglich löschen, ohne, dass wir etwas davon mitbekommen. Stattdessen stellen wir ihre Kompetenz und Aktivität in Frage. Dankbarkeit dafür, dass die einzelnen Hotelbetreiber noch immer ihre Retros am Laufen halten und sich Events ausdenken, damit die Userzahlen eben nicht noch weiter sinken. Stattdessen werfen wir den Betreibern Inkompetenz und Lustlosigkeit vor, wir erstellen Fake-Abuses damit sie schließen müssen. Dankbarkeit dafür, dass es überhaupt noch Leute gibt, die mit Projekten wie HabFiles oder FurniLoad etwas Gutes zum Wohl der Szene tun und dazu beitragen, dass wir uns Ressourcen unkompliziert herunterladen können. Stattdessen hinterfragen wir die technischen Kompetenzen der Betreiber. Dankbarkeit dafür, dass es Seiten wie RetroTimes gibt, die uns regelmäßig mit Nachrichten versorgen, selbst wenn diese nicht immer perfekt sind. Stattdessen werfen wir den Betreibern und Redakteuren Inkompetenz vor. Dankbarkeit dafür, dass sich Besitzer von Newcomer überhaupt noch die Mühe machen, ein Hotel auf die Beine zu stellen, obwohl es so oder so schon hoffnungslos erscheint. Stattdessen rechnen wir pauschal mit ihnen ab und lassen sie links liegen, wir werfen ihnen beim kleinsten Missgeschick Inkompetenz vor. Dankbarkeit dafür, dass es noch Plattformen wie RetroTown gibt, obwohl sie wahrscheinlich schon längst nicht mehr rentabel sind. Stattdessen kritisieren wir die Forumaktivität, wofür wir selbst verantwortlich sind. Dankbarkeit dafür, dass es noch Leute gibt, die heute noch neue Sachen entwickeln, designen und bereitstellen. Stattdessen hinterfragen wir und sehen es als Selbstverständlichkeit, dass jemand seine Zeit darin investiert, für die Szene zu arbeiten. Viel schlimmer – wir klauen deren Ideen und Erfindungen.
Dieser Szene mangelt es, und das nicht erst seit heute, aber zunehmend seit Ende 2017, massiv an Dankbarkeit und Zusammenhalt. Es scheint, als wäre es selbstverständlich, dass andere überhaupt noch etwas für diese Szene tun, während man selbst nichts anderes auf die Reihe kriegt, als nach dem kritisierten Service zu verlangen und ihn wiederum zu kritisieren. Man sollte die Arbeit anderer schätzen und würdigen, bevor man respektlos über sie herzieht. Man sollte anderen helfen, bevor man sie mit irgendwelchen Sprüchen der Inkompetenz betitelt. Und man sollte vielleicht – nur ein Mal – die Klappe halten und sich überlegen, was wäre, wenn niemand mehr etwas für die deutsche Szene tun würde und eines Tages keine Neuankömmlinge mehr kommen, die die Retroszene weiterführen. Wissen ist da, um weitergegeben zu werden. Warum es nicht weitergegeben wird, bleibt mir ein Rätsel. Vielleicht ist es schon viel zu spät, um Sachen zu ändern.
Es handelt sich um einen Meinungsbeitrag des Autors, der lediglich seine Meinung widerspiegelt und nicht jene von RetroTimes oder eines offiziellen Vertreters von RetroTimes. Dir steht frei, diese Meinung anzufechten oder eine andere zu vertreten.
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