22. Mai 2019 2 Kommentare AllgemeinKolumnen

Journalismus als die vierte Gewalt und Grenzen – Teil II

Unter dem Titel “RetroTimes – die vierte Gewalt in der Szene?” haben wir bereits letzten Monat einen kleinen Exkurs in die weite Welt des Investigativ- und Qualitätsjournalismus gemacht. Es zeigte sich, dass Pressefreiheit ein hohes, sehr zu schätzendes Gut ist – in gewisser Konstellation, gerade in Monopolstellungen, aber auch erhebliche, nicht wegzudenkende Risiken birgt. In diesem Beitrag soll es darum gehen, was sich viele unserer Leser immer wieder fragen: Warum wird über eine Sache berichtet, und über die andere nicht? Warum werden vermeintlich brisante Informationen der Community vorenthalten, und andere, wiederum weniger interessante Informationen verbreitet? Oder warum berichtet RetroTimes über einen Vorfall im Hotel X, nicht aber über einen ähnlichen im Hotel Y? Es sind Fragen, die eigentlich immer dann auftauchen, wenn es um einen brisanten Artikel geht, der Emotionen aufkochen lässt. Nicht selten heißt es dann: Lügenpresse, parteiisch oder manipulativ. Wir würden gezielt hetzen.

Doch ob Informationen veröffentlicht werden oder nicht, entscheiden wir – entgegen einer mehr oder weniger verbreiteten Meinung – nicht nach Lust und Laune oder gar “frei nach Schnauze“. Wir versuchen immer – in jedem Fall, der zu uns getragen wird – abzuwägen. Abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse und dem persönlichen Schutzgut der jeweilig betroffenen Person und ihren Rechten. Von dieser Abwägung bekommt der Leser selten was mit – umso verwunderter ist man dann, wenn ein bestimmter Fall nicht bei RetroTimes als Artikel landet, ein anderer aber schon.

Wann geht das ganze zu weit?

Wer gerade das aktuelle Geschehen in den Nachrichten mehr oder weniger verfolgt, wird von dem Politbeben in Österreich mitbekommen haben. Der SPIEGEL und die Süddeutsche-Zeitung veröffentlichten heimlich aufgenommenes Material, welches ihnen durch Dritte zugespielt wurde. Es deckte einen politischen Skandal auf, in welchem der österreichische Vize-Kanzler verwickelt war. In Folge der Veröffentlichung musste sich dieser öffentlich entschuldigen und letztlich zurücktreten – es wurden Neuwahlen angekündigt. Nun kann man sich – abseits des Eklats – zurecht die Frage stellen: Durfte die Presse illegal aufgezeichnetes Material im Sinne der Pressefreiheit und des öffentlichen Interesses veröffentlichen, obwohl mit dem daraus resultierenden Schaden und den Folgen für die Einzelperson zu rechnen war? Tage nach der umstrittenen Veröffentlichung meldet sich die SPIEGEL Chefredaktion in einem Beitrag “Warum wir das Video veröffentlichten” zu Wort – und spricht ein Machtwort für die Pressefreiheit. Die folgenden Zeilen sind direkt aus dem erwähnten Artikel kopiert.

Die “New York Times” hat als ihren Leitsatz gewählt: “All the News that’s Fit to print” – alle Neuigkeiten, die zum Abdruck geeignet sind. Wenn eine Information verifiziert und damit frei von jedem Zweifel ist, ist sie zum Abdruck geeignet. Eine Redaktion ist nach unserer Überzeugung dazu verpflichtet, diese Informationen dann auch ohne Aufschub zu veröffentlichen. […] Wenn auf ihrem Schreibtisch Material landet, das andere unter zweifelhaften, möglicherweise sogar illegalen Bedingungen erlangt haben, dürfen und müssen sie prüfen, ob es Informationen von öffentlichem Interesse enthält, also zu Machtmissbrauch, Korruption, möglichen Straftaten oder anderen schweren Missständen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Das ist die ureigene Aufgabe von Journalisten.

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Doch leider kann genau das oft ausgenutzt werden – beispielsweise, um eigennützig zu agieren. Das Schöne ist ja gerade, dass man – auch uns – Material und Informationen zu kommen lassen kann, ohne dabei seine Identität preis zu geben. Wir wissen dann nicht, von wem diese Information stammt – verpflichtet, sie zu prüfen, sind wir trotzdem. Und dann gibt es noch die Fälle, in denen sich ein Absender bei uns explizit mit dem Wunsch der Anonymität meldet. Er möchte auf keinen Fall namentlich zurückverfolgt werden können – vielleicht aus berechtigtem Interesse, möglicherweise aber auch nicht. Warum auch immer: Das muss für uns ohne Belang sein.

In vielen Fällen jedoch verfolgen Informanten eigennützige Ziele: Sie wollen sich an jemandem rächen, fühlen sich übergangen oder wollen einfach nur ihrem Gegner schaden. Für uns Journalisten stellt sich dann die Frage: Wiegt das Eigeninteresse eines Informanten schwerer als die öffentliche Bedeutung seiner Informationen? Falls ja, entscheiden wir uns gegen eine Veröffentlichung. Wiegt die öffentliche Bedeutung schwerer, ist es unsere Pflicht, diese Informationen zu publizieren, völlig egal, aus welchen Motiven sie zu uns gelangt sind. Ausschlaggebend ist der Wert der Information. So sind die Regeln. […] Der Schutz der Quelle ist das vielleicht höchste Gut im Journalismus, er ist deshalb auch gesetzlich geregelt. Unsere Quellen müssen sich darauf verlassen können, dass wir sie nicht verraten, wenn sie uns brisantes Material überlassen.

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Das ist der springende Punkt, der gerne übersehen wird: Nicht immer können wir die Quellen namentlich nennen oder Auskunft darüber geben, woher diese Informationen stammen. Darunter leidet dann möglicherweise die Transparenz, es heißt, man würde Sachen erfinden. Doch dahinter verbirgt sich schlussendlich eines der grundlegendsten Prinzipien im Journalismus. Auch, wenn das zulasten der Vertrauenswürdigkeit geht. Wir können nicht damit anfangen, gewisse Dinge und Sachen deswegen nicht zu veröffentlichen, weil sie die Szene als solche möglicherweise gefährden. Die Rede ist hier von den brisanten Leaks, die möglicherweise unschöne Schattenseiten oder die etwas andere Wahrheit aufdecken.

Schon oft wurde uns vorgeworfen, RetroTimes versuche die einzelnen Hotels mit solchen Leaks in der Szene zu degradieren oder Feindschaft anzuzetteln: Warum werden mit Ex-Mitarbeitern Interviews geführt? Ist das mit einem gezielten Komplott gleichzusetzen? Natürlich nicht. Denn man muss verstehen, dass das öffentliche Interesse an einer bestimmten Begebenheit manchmal eben überwiegt – und warum Pressefreiheit nicht umsonst in den Grundrechten verankert ist. Würde man die Presse zensieren, könnte sie ihrer mittelbaren Aufgabe der vierten Gewalt nicht mehr nachkommen.

“Wenn der Teufel mir Dokumente über Korruption im Himmel gäbe”, sagte kürzlich der neue Chefredakteur der Enthüllungsplattform Wikileaks im Gespräch mit dem SPIEGEL, “ich würde sie veröffentlichen.” Er beschreibt unseren journalistischen Auftrag ziemlich treffend.

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Interessanter Artikel.

NiemalsAntäuschen
Gast
NiemalsAntäuschen

Ich will jetzt nicht flexen, aber ihr habt nicht einen echten Journalisten im Team…